Skepsis als Triebfeder Christian F. Schiller und der aufrechte Gang entlang musikalischer Grenzerfahrungen

Asche, Staub, Ursprung, Vergänglichkeit, Intensität, Reduktion und Neogenese – die bleibenden Assoziationen eines Besuchs auf http://in-dust.org: Auslebewelt, Orientierungs- und Ankerpunkt, Plattform, virtuelle Heimat, Sammelsurium, Archiv, rettender Hafen und digitales Manifest des zeitgenössischen Komponisten, Performers und Veranstalters Christian F. Schiller alias chfs. Musikalische Grenzerfahrungen, sowie die synergetische Verschmelzung miteinander unvereinbar gedachter Zugänge sind häufig auftretende Motive im bisherigen Gesamtwerk des gebürtigen Gmundners, dessen fundamentaler Zugang den steten Versuch darstellt, sich selbst und seine Umgebung besser kennenzulernen, mitzugestalten und dabei etwas zu spüren, das man vorher nicht wahrgenommen hat. Als größte Triebfeder dient Schiller hier seine Skepsis gegenüber den eigenen Perzeptionen, Methoden und Aspekten - Selbstbeobachtung als Schlüssel zur Selbstfindung und Neudefinition als logische Konsequenz. Nicht unähnlich dem inhärenten ständigen Balanceakt des menschlichen aufrechten Ganges, bei welchem sich der Körper mit jedem Schritt nahezu unendlich oft neu orientiert um sich seiner vergangenen, momentanen und zukünftigen Position gewahr sein und die Balance halten zu können.

Sich selber spüren | Eine primäre musikalische Sozialisierung – nebst dem nahezu obligaten, präpubertären Klavierunterricht – erfuhr Christian F. Schiller im Umfeld einer altersmäßig sehr durchmischten und damals subkulturell äußerst fruchtbaren regionalen Musikszene und vielen prägenden Live-Konzerterlebnissen im Vöcklabrucker Graben17, sowie im einstmals legendären Ebenseer-Kino, wo sich zahlreiche Bands internationalen Kalibers wie beispielsweise Melvins, The Jesus Lizard und Unsane die Klinke in die Hand gaben. Besonders fasziniert war ein jugendlicher Schiller vom sehr physischen und direkten, jedoch reduzierten Zugang verschiedenster Hardcore- und Industrial-Stilistiken, deren spürbare Intensität sich auch in seinen Arbeiten (in verschiedenster Form) widerspiegelt. Eine sehr wichtige Phase für den jungen Musikfan, bei dem zu dieser Zeit noch die Live-Erfahrungen anderer, die man sich durch Dabeisein zu eigen machte, stärkere Eindrücke hinterließen als die eigenen. Ein anfänglich begonnenes Toningenieurstudium wurde nach einer kurzen Phase der Neuorientierung zugunsten der Kompositionslehre bei Gerd Kühr (1998 - 2002) und Georg Friedrich Haas (2002 - 2004) an der Kunstuniversität Graz ad acta gelegt. Laut Eigenangabe verdankt Schiller die Inspiration dafür seiner Klavierlehrerin Janna Polyzoides und Mentor Klaus Johns (*1950 - †2004), dem damaligen Studiendekan der KUG für Komposition, welcher den Studenten bis zu seinem Tod auf dem Weg zu sich selbst begleitete und unterstützte. Dankbar blickt Schiller auch auf den starken kollegialen Zusammenhalt in seinem damaligen universitären Umfeld zurück, der sich in einer Art kollektiven Enthusiasmus manifestierte, in dem sich die Studierenden untereinander gegenseitig stark förderten. Die Möglichkeit zum Selbstausdruck war gegeben, schließlich waren die Professoren Kühr und Haas sehr an der Individualität ihrer Studenten interessiert und boten ihnen – zum großen Teil auf das einengende Korsett akademischen Regelwerks verzichtend – zahlreiche Plattformen zur Verwirklichung. So entstanden bereits noch zu Studienzeiten zahlreiche, nach wie vor relevante Stücke in Christian F. Schillers Repertoire wie Schlagschatten (Christian Schillers und Helmut Schäfers perkussive Auseinandersetzung mit der Installation Uhrturmschatten von Markus Wilfling), ...---... (ein Stück für vier Bierflaschen, Laserpointer und Nebelmaschine), Vronlichnam=Herrenleib (eine klanginstallative Interpretation des letzten Abendmahls ebenfalls mit Helmut Schäfer) oder Reisz (ein Wechselspiel der Kräfte musikalischer Interpretation, die den ausführenden Musikern einiges abverlangt). Des weiteren kam es anno 2003, dem berühmt berüchtigten Grazer Kulturhauptstadt-Jahr, zu den Initialzündungen für die Online-Plattform in-dust.org, sowie das erste SAKRA!-Fest – ein von Schiller kuratiertes und veranstaltetes zeitgenössisches Musikfestival in der Grazer St. Andrä-Kirche. Schlagschatten wurde 2003 mit großem Erfolg als finale Veranstaltung besagten Kulturjahres uraufgeführt.

Graz: Konfrontationen, Austausch und Umsetzung | Christian F. Schillers Faszination für eigenwillige Persönlichkeiten führte ihn über diverse kleine Nebenjobs unter anderem als Tellerwäscher in die Grazer Lokalinstitution Parkhouse, damals mehr als heute ein wichtiger Treffpunkt um einen durchdringenden Blick auf die Stadt aus der Perspektive der Individualisten und Randerscheinungen besagter Szene zu erhaschen. Kurz darauf folgte eine Anstellung im Forum Stadtpark als technischer Assistent, aus der sich eine intensive Freundschaft mit Haustechniker, Musiker und Performer „Garfield“ Trummer entwickeln sollte. Als die wichtigsten und inspirierendsten Bekanntschaften außerhalb des akademischen und familiären Kontexts nennt Schiller die beiden Klangkünstler und Querdenker Helmut Schäfer (*1969 - †2007) und Alfred Lenz, welche chfs musikalischen Weg quasi von Beginn an begleitet haben. Sie sind es mitunter auch, denen Schiller in seiner 2004 präsentierten Diplomarbeit Universität≠Realität – eine kritische Gegenüberstellung akademischer Didaktik zu autodidakten Zugängen, welchen der Diplomand in seiner Arbeit ein eigenes Kapitel widmet – Tribut zollt. Chfs, der beide Seiten der Medaille kennt, strebt seit jeher nach den potentiellen Synergien, die aus diesen Konfrontationen entstehen. Das 2003 von Schiller ins Leben gerufene SAKRA! -Fest, steht zur Gänze im Zeichen dieses Unterfangens die Grenzen zwischen genannten komplementären musikalischen Zugängen zu zerstreuen – die erste Ausgabe präsentierte Stücke von Georg Friedrich Haas, Peter Jakober, Helmut Schäfer und chfs. SAKRA! ist bis heute eine, für die Szene relevante Festivalreihe von internationalem Renommee, welche stets mit höchstklassigem Programm aufwartet.

Das Privileg selbst zu gestalten – Komponiere was du liebst (nach Georg Friedrich Haas) | Schiller, der nach eigenen Angaben so gut wie nie Stücke geschrieben hat, wo ein Dirigent vonnöten gewesen wäre, begründet dies indem er seinen ausführenden Musikern die Protagonisten-Rolle zuschanzt. „Im Tun herumgeschoben werden und aufeinander hören müssen ist mir näher, als wenn einer alles weiß und die anderen nur Teil davon sind.“ Nach zahlreichen internationalen Aufträgen und Kooperationen, Auszeichnungen, Einladungen und Stipendien, die ihn unter anderem bis nach Johannesburg (Crossings 2010) geführt haben ist der junge Komponist und Familienvater zur Zeit wieder dabei sich zu orientieren und genießt nach wie vor das Privileg sich und sein Umfeld wieder neu und besser kennenzulernen und mitzugestalten, um bestenfalls etwas von den positiven Erfahrungen weiterzugeben, die er in seiner Jugendzeit selbst erleben und genießen konnte. Aktuelle Arbeiten beinhalten Hathenter – eine Kooperation mit Flitzefinger-Gitarrist Mick Barr, ein Stück für Doppelwand-Mundharmonika, eine Komposition für E-Piano und eine neue Konfiguration seines alten Stückes X für das Wiener Ensemble Studio Dan. Des weiteren betreibt er im Rahmen seines 2002 mit Alfred Lenz gegründeten Duos pianofeedbackdistortion ein kleines, aber feines Sudio in Studenzen im Bezirk Südoststeiermark, welches sich zukünftig auch ab und an nach außen hin öffnen möchte (SO?). | http://in-dust.org

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Patrick Wurzwallner

2015

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